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»Einmal Tragantpulver, bitte« – diese Kundenanfrage nach dem Pflanzengummi gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Drogerien häufig. Tragant war die Zutat für ein Haftmittel, das Gebissträger orderten, heute gibt es das als Fertigprodukt unter dem Namen Kukident. Fred Seegrön, Jahrgang 1935, ist ein Zeitzeuge für Wirtschaftsgeschichte: Er hat in Bargteheide den Aufstieg und den Niedergang der Drogerien erlebt (Abb. 1). Wo zu Beginn alle Zutaten einzeln in der Drogerie zu haben waren, veränderten nach und nach fertige Produkte die Arbeit der Drogisten.
Im Jahr 1879 hatte Fred Seegröns Großvater eine Drogerie in Hamburg gegründet. »Während diese von einer Schwester meines Vaters übernommen wurde, machte der sich 1926 nach umfassender Ausbildung selbstständig und kaufte später eine Drogerie in Bargteheide«, erzählt Fred Seegrön. Der Start (Abb. 2 bis 4) sei damals sehr anspruchsvoll gewesen: so habe unter anderem schnellstens ein Frischwasserbrunnen auf dem Gelände gebohrt werden müssen, um ein Fotolabor betreiben zu können. Auch das Warenangebot habe für eine Land-Drogerie
überarbeitet werden müssen. Durch einen Umbau 1938 erhielt die Drogerie im Erdgeschoss eine moderne Fassade
(Abb. 5 bis 7).
1963 übernahm Fred Seegrön, der eigentlich gelernter Industriekaufmann war und bei einem großen Unternehmen arbeitete, das Geschäft nach dem frühen Tod des Vaters. Mit seinem Wissen aus dem Unternehmen und persönlichem Erleben baute er die Bargteheider Drogerie zu einer der größten im Kreis Stormarn aus. »Ich habe dann später erkannt, dass große Drogeriemärkte zunehmend eine Konkurrenz wurden, und habe deshalb das Geschäft 1991 aufgegeben.«
Die Arbeit in der Drogerie hat Seegrön geprägt, der schon als Kind aushalf. »Mein Vater hatte die Drogerie so ausgebaut, dass sie an der Front vier Schaufenster hatte«, erinnert er sich. Bald wurde das Geschäft in der Jersbeker Straße zur Anlaufstelle für Kunden aus dem gesamten Kreis. »Bargteheide war damals noch Dorf und ein zentraler Ort«, so Seegrön. »Wenn die Bauern die Milch zur Bargteheider Molkerei fuhren, warfen sie auf dem Hinweg eine Einkaufsliste in den Kasten der Drogerie und holten die Sachen auf dem Rückweg ab.«
Wenn auf den Höfen Schlachttag war, standen Därme, Desinfektionsmittel, Borax oder Salz und Salpeter zum Pökeln auf den Einkaufszetteln. »In den Geschäftsräumen gab es unzählige Porzellan- und Glasstandgefäße, in denen die Chemikalien vorrätig gehalten wurden, unter anderem Ricinus-Öl, Jod-Tinktur, Zinksalbe, Vaseline oder Zitronensäure.« Die Abgabe sei in Spezialtüten oder Flaschen erfolgt, rund für die äußerliche Anwendung, eckig für die innere.
Denn in der Drogerie kaufte man damals auch viele medizinische Artikel. »Wir hatten mindestens 200 Kräuter und pflanzliche Sorten, zum Beispiel Faulbaumrinde oder Leinsamen, vorrätig und meine Eltern hatten ein dickes Rezept-Buch, in dem nicht nur die Zusammenstellung von Kräutern, sondern auch von etlichen Flüssigkeiten und Substanzen verzeichnet waren.« Heiltee, Kräutertee, Genusssorten, die es heute fertig zu kaufen gibt, wurden damals noch individuell zusammengestellt.
»Und wenn jemand etwas am Rücken hatte, konnte er dafür ein Original Katzenfell erwerben.« »Für das Anrühren von Öl- und Leinfarben gab es eine Palette von Trockenfarben, einschließlich Bleimennige, Kreide und den obligatorischen Substanzen wie Leinöl-Firnis«, erinnert sich Seegrön.
Im Fotolabor war der so genannte Rollfilm der Renner: »Von acht Negativen wurden handgefertigte Schwarz-Weiß Bilder für zwölf Pfennig pro Stück abgezogen. « Im so genannten Fass-Keller lagerten außerdem Terpentin, Öle, Essig, Vaseline, Gips, Kreide oder Zinksalbe. Im Keller stand auch der Trafo, der Gleichstrom aus dem Bargteheider E-Werk in Wechselstrom für die Leuchten im Laden umwandelte.
Als der Zweite Weltkrieg begann, führte Seegröns Mutter die Drogerie alleine weiter. »In Fortbildungskursen am Wochenende hat sie damals die Giftprüfung gemacht, um Rattengift und Pflanzenschutzmittel verkaufen zu dürfen.« Der kleine Fred half mit, indem er mit dem Handwagen Waren in Bargteheide austrug. »Einmal kamen Tiefflieger und beschossen einen Güterzug am Bargteheider Bahnhof.« Der damals Achtjährige versteckte sich in den Büschen und floh dann in ein Haus. »Gerade noch rechtzeitig, denn da kamen die Flieger zurück.« Die Todesangst hat Fred Seegrön nie vergessen.
»Meine Mutter hatte es erreicht, dass die Drogerie die gesamte Kriegszeit über offen bleiben konnte.« Teilweise mussten sich Geschäftsinhaber Ladenflächen in Bargteheide teilen und das Sortiment hin und her transportieren. 1945 kehrte der Vater zurück und gleichzeitig kamen die Einquartierungen. »Wir sind in den Keller gezogen und hatten teils 40 Leute im Haus wohnen. Am Ende auch Soldaten aus den Niederlanden, die kurze Zeit in Bargteheide stationiert waren.« Sie ließen unter anderem ihre Fotos in der Drogerie Seegrön entwickeln.
In den 1960er-Jahren kam der wirtschaftliche Aufschwung. Seegrön schaffte es bald, den Jahresumsatz in Verbindung mit der mehrfachen Erweiterung der Verkaufsräume, Anpassung des Sortiments mit ›Freiwahl‹ und Selbstbedienung zu vervielfachen. »Drogerien deckten damals mehrere Themenbereiche ab: Körperpflege, Parfümerie, Kosmetik, Foto, Farben, Tapeten, Medizin, Haushalt, Babynahrung und Saisonartikel gehörten dazu.« Seegrön bot auch aktuelle Artikel an.
»Als die Badekappenpflicht im Bargteheider Freibad eingeführt wurde, hatte ich Badekappen im Laden, zum Elmenhorster Karneval Kostüme und Karnevalsschminke. « Als das Ahrensburger Schloss für die Festbeleuchtung 200 Leuchterkerzen benötigte, konnten sie sofort in Bargteheide abgeholt werden. Selbstverständlich war eine große Auswahl an Weihnachtsschmuck, Silvesterartikeln, Osterschmuck und 400 Sorten Tapeten. Seegrön verlieh Babywaagen, verkaufte alles rund um die Geburt und machte schon in den 1970er-Jahren aus der Drogerie einen Drogeriemarkt. »Vom Sortiment her war Seegrön die größte Inhaber-geführte Drogerie im Großbereich Schleswig-Holstein/Hamburg.« Die Entwicklung war rasant, so der Bargteheider (Abb. 8).
»Damals fing es aber auch an, dass Firmen Fertigprodukte auf den Markt brachten, so dass die einzelnen Zutaten in den Drogerien überflüssig wurden.« Eine Zäsur für die Branche war der Bau des Alstertal-Einkaufs-Zentrums in Hamburg-Poppenbüttel, das 1970 eröffnet wurde und viele Kunden abzog. »Gleichzeitig machten Geschäfte wie Kloppenburg, die Metro in Meiendorf/Rahlstedt, Magnet und erste Drogeriemärkte in Bargteheide auf.« Hinzu kam, dass aufgrund einer Veränderung der Handelsströme drei Hauptlieferanten die Geschäftstätigkeit einstellten und zwei
namhafte Hersteller aus Kostengründen keine Direktlieferungen mehr vornahmen.
Fred Seegrön erkannte die Zeichen der Zeit und gab das Geschäft 1991 auf, als die Umsätze nicht mehr stiegen, aber auch noch nicht sanken. Heute sind klassische Drogerien aus dem Stadtbild fast überall durch Drogeriemärkte verdrängt worden. Inzwischen zeichnet sich erneut ein Wandel durch die zunehmende Präsenz von Online-Drogerien ab.
Anmerkung:
Der Bericht beruht auf zwei Interviews mit Fred Seegrön am 11. Januar 2024 und am 28. Februar 2024. Sehr hilfreich war die Mitarbeit von Wilma Griese vom Museum Bargteheide. Im Museum sind zusätzliche Berichte und historische Fotos archiviert.
Abbildungsnachweis:
Abb. 1: Bettina Albrod
Abb. 2-8: Museum Bargteheide
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