StormUnity

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Gunter Demnig bei der Stolpersteinverlegung in Ahrensburg // Foto: Bettina Albrod

Stolpersteine in Stormarn

In ganz Stormarn verteilt findet man Stolpersteine - die Gedenktafel aus Messing sollen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Bettina Albrod hat für das StormUnity Magazin die Schicksale der Opfer recherchiert.

Bettina Albrod

Der Künstler Gunter Demnig begann 1992 damit, Pflastersteine mit einer Gedenktafel aus Messing im Gehweg vor dem letzten Wohnort von Menschen zu verlegen, die zu Opfern des Nationalsozialismus geworden sind. Auf der zehn mal zehn Zentimeter großen Tafel der "Stolpersteine" werden Name, Geburtsjahr, gegebenenfalls das Jahr der Deportation und das Todesjahr per Hand eingeprägt. Zusätzlich zu Stolpersteinen verlegt Demnig auch Stolperschwellen im Format 100 mal zehn Zentimeter, mit denen ganzer Opfergruppen gedacht wird. Inzwischen sind in Europa über 100.000 Stolpersteine verlegt worden. Sie gelten als größtes dezentrales Mahnmal der Welt.

Demnig erläutert auf seiner website, warum er die künstlerische Form des Stolpersteins gewählt hat.(1) Demnach will er zum einen Menschen, die in Konzentrationslagern auf Nummern reduziert wurden, wieder einen Namen geben. Die Verlegung im Boden zwingt zum anderen dazu, dass man sich zum Lesen der Steine vor dem Opfer verbeugt. Schließlich will Demnig damit an Menschen erinnern, die sonst vergessen werden, und das Erinnern in die Städte holen: "[Stolpersteine] bringen die Namen und Lebensgeschichten der Menschen zurück und helfen so vor allem den Angehörigen ihrer Verwandten zu gedenken und Traumata aufzuarbeiten. In den jeweiligen Gemeinden helfen sie die lokale Geschichte aufzuarbeiten und das Gedenken lokal zu verankern. Sie fördern einen öffentlichen Diskurs und integrieren oft die nachwachsende Generation in die Recherche und die Aufarbeitung. Im Idealfall immunisieren sie uns gegen ähnliche Entwicklungen, machen uns sensibel für Menschenrechtsverbrechen und erinnern uns daran, wie wichtig eine offene und tolerante Gesellschaft ist." (2)

In Stormarn lassen sich derzeit 20 Stolpersteine und eine Stolperschwelle finden. Sie liegen in Ahrensburg, Bad Oldesloe, Bargteheide, Glinde, Reinbek, Reinfeld und Tangstedt. Die Biographien der Menschen, an die erinnert wird, sind teilweise in Schulprojekten recherchiert worden.

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Ahrensburg

In wurde 2003 der erste Stolperstein für Anneliese Oelte in der Ernst-Ziese-Straße 2 Ahrensburg verlegt. Die Inschrift lautet: "Hier wohnte Anneliese Oelte JG 1934 ermordet 1945 Heilanstalt Steinhof Wien". Anneliese Oelte war kurz nach der Geburt an Kinderlähmung erkrankt, was zu einer verzögerten geistigen Entwicklung führte. 1938 kam sie in die Alsterdorfer Anstalten in Hamburg, fünf Jahre später wurde sie in den Steinhof nach Wien deportiert, wo sie an den Folgen von Hunger und Verwahrlosung starb.(3)

Große Straße 42 in lautete die letzte Adresse in Freiheit von Magnus Lehmann. Ahrensburg Magnus Lehmann wurde am 19. Mai 1885 in Ahrensburg geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er bis 1933 bei der AEG als Diplom Ingenieur. Da er Jude war, wurde er entlassen und kehrte nach Ahrensburg zurück, wo er dann bei „M.H. Lehmann“, der Getreidefirma seiner Familie, arbeitete. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde er in Ahrensburg verhaftet und kam ins KZ, aus dem er am 7. Dezember 1938 wieder entlassen wurde. Seine beiden Brüder konnten nach Südamerika auswandern. 1940 wollte auch Lehmann auswandern, erhielt aber keinen Pass. Am 4. Dezember 1941 wurde er schließlich nach Minsk verbracht. Offiziellen Angaben zufolge starb er am 8. Mai 1945. Hinweise auf den Tod von Magnus Lehmann gibt es allerdings auch im KZ Riga.(4)

In in der Waldstraße 8 erinnern vier Stolpersteine an die Familie Rath. Dr. Hugo Rath Ahrensburg heiratete die Jüdin Veronika Tillmann und eröffnete 1918 eine Praxis in Ahrensburg. Sie hatten zwei Kinder, Ulrich und Dorle. Die Ehe galt den Nazis als Mischehe, die Kinder als Halbjuden. In den Folgejahren sah die Familie sich zunehmend Repressalien ausgesetzt; Dr, Rath wurde nahe gelegt, sich scheiden zu lassen. Veronika Rath nahm sich 1938 das Leben. Dr. Rath starb 1940. Der Sohn überlebte den Krieg in Indien in einem Internierungslager und wanderte nach Kriegsende in die USA aus, die Tochter überlebte Dank der Unterstützung von Freunden und wurde unter anderem Jazzsängerin. Sie führte das von ihren Eltern gegründete Ambulatorium als Krankengymnastin weiter.(5)

Bad Oldesloe / Bargteheide / Glinde

In Bad Oldesloe, Hindenburgstraße 49, liegt ein Stolperstein für Hans Wöltje. Wöltje wurde am 7. Januar 1897 in Brasilien als Sohn des Deutschen Konsuls geboren. Er zog später nach Bad Oldesloe. Er war Zeuge Jehovas und wurde auf Grund dessen im November 1937 verhaftet. In der Folge wurde er in das KZ Dachau deportiert. Hans Wöltje starb dort laut offiziellen Dokumenten am 2. Juni 1942. Laut neueren Dokumenten der KZ-Denkstätte Dachau wurde vertuscht, dass er tatsächlich schon als sogenannter arbeitsunfähiger Häftling am 3. März 1942 in die Tötungsanstalt Hartheim überführt worden war und dort noch am selben Tag in einer Gaskammer ermordet wurde.(6)

In am Kirchberg 4 erinnert ein Stolperstein an Robert Kersten. Robert Kersten wurde Bad Oldesloe am 19. August 1883 in Dreschwitz geboren. Er war Eisenbahnarbeiter und wurde 1924 in Stralsund für die KPD in die Bürgerschaft gewählt. Kersten wechselte in die SPD und wurde Gewerkschaftssekretär. Im Jahr 1933 zog er nach Bad Oldesloe, wo er nicht mehr politisch aktiv war. Er wurde für die Gas- und Lichtwerke tätig; nach einer Kriegsverwundung, die ihn zum Invaliden machte, wurde er Stadtbote. Im August 1944 wurde er im Zuge der "Aktion Gitter", die sich nach dem misslungenen Hitler-Attentat gegen Mitglieder der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokraten richtete, verhaftet, zuerst in Lübeck, dann in Kiel inhaftiert und schließlich wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ in das KZ Neuengamme deportiert. Kersten wurde am 27. Februar 1945 ermordet. Seine Lebensgefährtin erhielt die Nachricht, dass er an einer Magen-Darmkrankheit, einer Variante, die nur Kinder bekommen, verstorben wäre.(7)

In gibt es einen Stolperstein Am Bargfeld 6. Ernst August Bastian war 1914 mit seiner Bargteheide Familie nach Bargteheide gezogen. Ab Dezember 1918 war Bastian Vorsitzender des Landarbeiterverbands Stormarn und schloss sich der KPD in Bargteheide an. Er nahm am Hamburger Aufstand in Stormarn teil, in dessen Verlauf die Kommunisten am 22./23.10.1923 in Bargteheide Post und Bahnhof besetzten sowie die Bahngleise zwischen Bargteheide und Ahrensburg blockierten. Nach dem Scheitern des Aufstands wurde Bastian für 15 Monate in der pommerschen Festung Gollnow interniert. Nach der Niederlage der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg bei Stalingrad 1943 denunzierte ein Kollege bei den Walther-Werken Ernst Bastian wegen dessen kritischer Äußerung zur Schlacht als Wendepunkt dieses Krieges. Wegen „Wehrkraftzersetzung" und „Feindbegünstigung" wurde Bastian festgenommen und saß in Untersuchungshaft in Lübeck bis zur Überführung im Mai 1944 in das Untersuchungsgefängnis Meseritz in der Provinz Brandenburg. Im November 1944 überführte man ihn nach Hamburg-Fuhlsbüttel und verurteilte ihn zu eineinhalb Jahren Zuchthaus. In Folge der unmenschlichen Haftbedingungen starb Ernst Bastian am 22.01.1945 an Unterernährung.(8) 

In Glinde liegt am Eichloh/Ecke Holstenkamp eine Stolperschwelle. Das Lager Wiesenfeld war das größte Zwangsarbeiterlager in Schleswig-Holstein. Ab November 1942 brachte Krupp hier Zwangsarbeiter für das 1937 gegründete Kurbelwellenwerk unter, das die deutsche Luftwaffe belieferte. Knapp 3000 Menschen lebten auf dem Areal, dessen alter Eingangsbereich nun mit einer Stolperschwelle versehen ist, die an sie erinnert. Viele von ihnen starben aufgrund von Hunger und schlechten Bedingungen.(9)

Reinbek / Reinfeld / Tangstedt

Reinbek, Bahnsenallee 49: Dr. Hermann Karl Apel wurde am 2. Juni 1883 geboren. Er lebte als Studienrat im Ruhestand in Reinbek. Seine Dissertation 1910 in Halle an der Saale hatte zum Thema was ihm später zum Verhängnis wurde: Wegen der Verbreitung Die Tyrannis von Herakles, antinazistischer Publikationen wurde er 1939 von der Gestapo verhaftet und im Polizeigefängnis Hamburg arrestiert. Am 11. Oktober 1939 wurde er ermordet. (10)

Reinbek, Hamburger Straße 23: Jacob Hans Bauer stellte sich als Kommunist offen gegen Hitler. Im Alter von 40 Jahren wurde er 1939 verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau transportiert. Dort wurde er am 19. Mai 1941 umgebracht. (11)

Reinbek, Kückallee 43: Hier erinnern zwei Stolpersteine an den Juristen Dr. Arthur Goldschmidt (Jahrgang 1873) und seine Frau Katharina (Jahrgang 1882), die wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt wurden. Seine Eltern waren bereits vor Goldschmidts Geburt vom Judentum zum Protestantismus übergetreten, er galt nur auf Grund der Nürnberger Gesetze als Jude. Er und seine Familie lebten als Christen. Um 1910 bezog er mit seiner Familie die Villa in der heutigen Kückallee. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Goldschmidt aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen und arbeitete nun als Kunstmaler. Beiden Söhnen ermöglichte er rechtzeitig die Flucht. Seine Frau starb am 2. Juni 1942, einen Monat später wurde er verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Das Angebot, sich bei einem Freund auf dem Land zu verstecken, hatte er abgelehnt. Im KZ gründete er eine evangelische Gemeinde und betreute als Pastor die jüdisch-protestantischen Häftlinge. Die Christen konnten im Kolumbarium in den Kasematten ihre Gottesdienste und Trauerfeiern abhalten. Arthur Goldschmidt überlebte das KZ und kehrte nach Reinbek zurück. Er verfasste eine
Geschichte der evangelischen Gemeinde Theresienstadt und starb 1947.(12)

Reinbek, Johannes-Kröger-Weg 3a: Der 1876 geborene Johannes Kröger wuchs auf dem Gutshof Silk auf und lernte Schmied. Nach seiner Hochzeit lebte er in Schönningstedt. Ab 1922 engagierte er sich für die SPD als Gemeindevertreter. Er war ein Gegner der NS-Ideologie und soll unter anderem einige SA-Männer mit der Gartenharke von seinem Grundstück verjagt haben. Die Ehefrau starb im September 1936. Er verweigerte die Kooperation mit dem Regime und wurde denunziert, nachdem er den „Feindsender“ gehört hatte. Im Mai 1940 wurde er verhaftet, kam zuerst nach Fuhlsbüttel und Lübeck und später in das KZ Dachau. Dort starb er am 15. November
1940. (13)

Reinbek, Lindenstraße 25: Helene Ilse Talke, im März 1899 geboren, hatte vor ihrer Hochzeit die jüdische Religionszugehörigkeit abgelegt. 1938 kam die geschiedene Frau mit ihrem Sohn Heinz Martin Talke (Jahrgang 1920) nach Reinbek. Dort war sie Repressalien ausgesetzt, genoss aber einen gewissen Schutz bis ihr Sohn 1941 volljährig war. Die Gestapo zwang sie 1942 erst zum Umzug nach Hamburg, wo sie zur Zwangsarbeit herangezogen wurde, und brachte sie im Juli des Jahres nach Theresienstadt. Sie überlebte und kehrte 1945 zu ihrem Sohn zurück, der allein in der Hansestadt geblieben war. Sie starb 1975. Ihr Sohn galt als Halbjude, auch er starb 1975. (14)

In in der Carl-Harz-Straße 6 lebte der Schriftsteller Carl Harz (Jahrgang 1860). Harz machte Reinfeld in Stade eine Ausbildung zum Buchdrucker. Nach dem frühen Tod des Vaters übernahm er dessen Gastwirtschaft und Zolldeklarationsstelle. 1888 rief er den „Schifferverband der Unterelbe e. V.“ ins Leben und arbeitete bis ins hohe Alter als Schiffsmakler. Harz widmete sich insbesondere sozial religiösen Fragen und schrieb Artikel, die in Tageszeitungen, Zeitschriften, Flugblättern und Broschüren erschienen. 1917 zog er nach Reinfeld. 1939 wurde er mit einem Publikationsverbot belegt. 1943 schrieb Carl Harz an Adolf Hitler ein Telegramm und forderte ihn darin zur Beendigung des Krieges auf. Carl Harz wurde daraufhin inhaftiert. Am 13. August 1943 starb er im Gefängnis, er
soll sich erhängt haben. (15)

Reinfeld, Paul-von-Schoenaich-Straße 36: Der vierfache Vater Richard Minkwitz (Jahrgang 1886) war ein kommunistisch organisierter Arbeiter. 1933 wurde er von der Gestapo in Bad Oldesloe in „Schutzhaft“ genommen. Am 7. September kam er dort ums Leben – wahrscheinlich wurde er zu Tode geprügelt. (16)

In Tangstedt, Wulksfelder Damm 15-17, erinnern zwei Stolpersteine an die 1909 in Polen geborene Czeslawa Jaglinski und ihre Tochter. Das Kind war am 24. April 1944 in Polen zur Welt gekommen, kurz darauf hatten die Nazis die Eltern mitsamt ihren fünf Kindern zur Zwangsarbeit auf Gut Wulksfelde verschleppt. Weil es dort bewusst wenig zu essen gab, starb die jüngste Tochter einen Tag vor ihrem ersten Geburtstag: Sie war verhungert. Der zweite Stolperstein gedenkt der Mutter, die den Krieg überlebte, aber auf dem Gut Zwangsarbeit leisten musste.17

Quellen

1 Website des Künstlers Gunter Demnig, https://www.stolpersteine.eu/aktuell , abgerufen am 20.06.2024
2 ebd., abgerufen am 20.06.2024
3 „Neue Stolpersteine-App erinnert an Nazi-Opfer“, Hamburger Abendblatt, 10. November 2023, S.19.
4 https://gemeinschaftsschule-am-heimgarten.de/2018/11/09/das-schicksal-der-juedischen-familie-lehmann/, abgerufen am 20.06.2024
https://alt.stormarnschule.de/assets/Faecher/Geschichte/Lebensgeschichte%20Hugo%20Rath.pdf, abgerufen am 20. Juni 2024
6 https://www.badoldesloe.de/Kurzmen%C3%BC/Startseite/Ausstellung-zum-Gedenken-an-den-durch- das-NS-Regime-ermordeten-Hans-W%C3%B6ltje.php?object=tx,2965.5&ModID=7&FID=2965.14072.1 , abgerufen am 23.06.2024
7 https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bad_Oldesloe , abgerufen am 23.06.2024
8 Doris Volland, Artikel im Stormarn-Lexikon, https://www.stormarnlexikon.de/ernstaugustbastian/ abgerufen am 23.06.2024

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