Das Community Onlinemagazin zu kulturellen und gesellschaftlichen Themen – von Stormarnerinnen und Stormarner für Stormarnerinnen und Stormarner
Bettina Albrod erzählt im Text über die Entwicklung der ›Officina Ludi‹ in Großhansdorf - eine spannende Geschichte über ein Kleinverlag in Stormarn.
›Officina Ludi‹ – Werkstatt des Spiels – ist der Name eines Ein-Mann-Verlages in Großhansdorf, den Claus Lorenzen 1990 gegründet hat. Den Anstoß bildete eine kleine Tisch-Abziehpresse nebst Bleilettern und Werkzeug, die die Grundschule, in der Lorenzens Frau als Lehrerin tätig war, geschenkt bekommen hatte (Abb. 1). In der Folge bildete Lorenzen – von Haus aus Jurist – sich bei Fachleuten im Druckhandwerk fort und richtete sich nach und nach eine komplette professionelle Bleisatzwerkstatt samt Andruckpresse ein.
Anfangs setzte und druckte Claus Lorenzen Einblatt- und Gelegenheitsdrucke, Gedichte und kurze Prosatexte. 1989 erschien erstmals der Verlagsname ›Officina Ludi‹ auf dem Titelblatt des Pressendrucks ›Ordnung muss sein‹ von Kurt Kusenberg. Der Druck bildete den Grundstein für einen kleinen bibliophilen Verlag, in dem fortan jährlich ein Buch erschien. Lorenzen verband dabei einen kurzen, oft weniger bekannten literarischen Text mit hochwertigen Illustrationen namhafter Buchkünstler und einer Buchform, die sich in der Formsprache dem Inhalt größtmöglich annäherte.
›Ordnung muss sein‹ von Kurt Kusenberg erschien in der ›Officina Ludi‹ in einer Auflage von 100 Stück. Kusenberg hatte seine satirische Erzählung 1939 geschrieben und darin die Ordnungswut des Staates thematisiert. Lorenzen brachte die Parabel in Form eines Aktenordners heraus. Für den Einband verwendete er einen grünen Karteikarton, außerdem erhielt der Ordner ein Aktenzeichen, einen blauen Stempel mit Erscheinungsort und -datum sowie ein stilisiertes grünes Verlagszeichen ›Ludi‹ in der Form des bekannten Leitz-Logos. Illustrator war Karsten Zink.
1991 folgte von Bertolt Brecht ›Wenn die Haifische Menschen wären‹, illustriert von Albrecht von Bodecker, und 1995 erneut ein Text von Kurt Kusenberg: ›Jedes dritte Streichholz‹ (Abb. 2). Diesmal steckte der Druck in einem Schuber, der als Streichholzschachtel aufgemacht war (und auch als solche funktionierte), die Illustrationen schuf Egbert Herfurth, der die Personen mit Acrylstichen als Streichholzmännchen wiedergab. Das Buch wurde von der ›Stiftung Buchkunst‹ unter die schönsten Bücher des Jahres gewählt. ›Der Wegwerfer‹ von Heinrich Böll thematisierte 1997 die unnütze Papierflut, die täglich im Papierkorb landet. Lorenzen wollte den Text zunächst getreu seinem Konzept als Werbeprospekt herausbringen, entschied sich dann aber für das Gegenteil: ein hochwertiges Druckerzeugnis, das sich aufzuheben lohnt. Hannes Binder aus Zürich illustrierte das Buch mit schwarz-weißen Schabzeichnungen.
›Ein Schnäppchen namens DDR‹ von Günther Grass (2000) wurde mit einem Umschlag aus original DDR-Papiertüten mit dem Aufdruck ›Guten Einkauf‹ versehen. Lorenzen illustrierte es mit originalen DDR-Buchdruckklischees und Fotos des Rostockers Fotografen Siegfried Wittenburg aus der Wendezeit. In dem Künstlerbuch ›Amnesie in litteris‹ von Patrick Süskind (2001) mit Original-Radierungen von Joachim Jansong geht es um das schnelle Vergessen gelesener Bücher. Friedrich Dürrenmatts bis dahin unveröffentlichtes Erzählfragment ›Der Schachspieler‹, wiederum illustriert von Hannes Binder, erschien 2007. Auch dieses Buch wurde von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet.
Die Sammlung von Einblattdrucken ›Die 100 Wörter des Jahrhunderts‹ erschien 1999. Die Wörter waren von einer Jury unter der Schirmherrschaft der Süddeutschen Zeitung und des Senders 3Sat ausgewählt worden. Jedes Wort wurde bildlich allein mit typografischen Mitteln umgesetzt. So öffnet sich etwa das Wort ›Reißverschluss‹ optisch am Ende (Abb. 3) und assoziiert ebenso wie das auf dem Rücken liegende ›B‹ bei dem Wort ›Bikini‹ den Gegenstand, den es benennt (Abb. 4). Eine ähnliche Verbindung von Bild und Schrift bot 2011 die Grafiksammlung ›Typoeten – Typographische Dichterporträts‹ von Ralf Mauer, in der die Köpfe berühmter Schriftsteller alleine aus Schriftzeichen zusammengesetzt sind.
Für den Druck der ›100 Wörter‹ kam es erstmals zur Zusammenarbeit mit dem ›Museum der Arbeit‹ in Hamburg (Abb. 5). Drei Viertel der Wörter gestaltete Lorenzen selbst, den Rest trugen zur Unterstützung acht weitere Pressendrucker bei, denn das Projekt sollte zur Jahrtausendwende vorliegen. Zugleich vollzog sich technisch ein Übergang von der Handpresse zum Offsetdruck, bei dem die 100 Originalgrafiken im Anschluss auch im Postkartenformat gedruckt und in einer Kassette in hoher Auflage verkauft wurden. Erstes Offsetdruck-Buch der ›Officina Ludi‹ wurde 2002 erneut ›Wenn die Haifische Menschen wären‹.
Neue Wege beschritt Lorenzen mit den drei Büchern ›wie weiß ist wissen die weisen‹ (2006), ›das schwarze geheimnis‹ (2010) und ›am Golde hängt doch alles‹ (2016); drei Anthologien konsequent monochrom gestaltet und von einer Reihe namhafter Künstler aus mehreren Nationen illustriert – mit Texten aus der Literatur zu den Farben Weiß, Schwarz und Gold, wobei neben herkömmlichen Techniken wie Holz- oder Linolschnitten auch andere Verfahren wie Blind- und Heißfolienprägung, Siebdruck sowie Laserstanzungen zum Einsatz kamen.
Die bibliophile Neugestaltung literarischer Texte setzte sich 2009 mit Axel Eggebrechts ›Katzen‹ fort, illustriert von Klaus Ensikat. Für jedes der in der Folgezeit als Buchhandelsausgaben erschienenen Bücher gab es zusätzlich limitierte und signierte Vorzugs- und Luxusausgaben mit Originalgrafiken.
Wolfgang Hildesheimers ›Das Ende einer Welt‹ (2009 – noch im Buchdruck gedruckt) wurde von Anne von Karstedt bebildert, Arno Schmidts ›Seelandschaft mit Pocahontas‹ (2012) von Felix Scheinberger, Kurt Tucholskys ›Der Hund als Untergebener‹ (2013) wiederum von Klaus Ensikat (Abb. 6). Für Thomas Manns ›Mario und der Zauberer‹ (2014) fertigte Kat Menschik die Illustrationen (Abb. 7); das Buch erschien zum 25-jährigen Verlagsjubiläum als Erinnerung an die Anfänge der Officina Ludi noch einmal im Buchdruck, später im Offsetdruck. 2018 kam von Voltaire ›Candide oder der Optimismus‹ heraus, illustriert erneut von Klaus Ensikat, 2019 Hermann Hesses ›Klingsors letzter Sommer‹ mit Bildern von Karin Widmer, der Schweizer Urenkelin des Schriftstellers. 2022 stellte Claus Lorenzen eine Anthologie mit Texten von Schriftstellern über die Stadt Paris zusammen, und die Augsburger Künstlerin Anita Ulrich reiste in seinem Auftrag eigens für dieses Buch an die Seine und bebilderte es mit über 80 Aquarellen und Urban Sketchings aus dem Alltagsleben der Stadt.
Zusätzlich zu den Büchern sind zahlreiche bibliophile Einblattdrucke und zwei Ausgaben der ›Literarischen Tischsets‹ erschienen: Auszüge aus bekannten Werken der Weltliteratur zum Thema Essen und Trinken wurden mit historischen Stichen und Zeichnungen illustriert. Zusätzlich erscheinen einmal im Jahr aufwändig gestaltete Neujahrsdrucke mit Originalgrafik und kurzen pointierten Texten bekannter Schriftsteller, vorwiegend zum Thema ›Lesen‹.
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