Das Community Onlinemagazin zu kulturellen und gesellschaftlichen Themen – von Stormarnerinnen und Stormarner für Stormarnerinnen und Stormarner
Ahrensburger Sport- und Kulturverein Roter Stern Kickers jubelt über Neuregelung des DFB. Künftig darf auch mitkicken, wer weder Mann noch Frau ist.
Zweifelsohne: Für einen Teil der Gesellschaft in Stormarn und ganz Deutschland ist der Sommer 2022 ein historischer Sommer. Und zwar für den Teil der Gesellschaft, der bisher in keiner offiziellen Liga Fußball spielen durfte.
Doch von vorn erzählt: Vor rund einem Monat wurde aus dem Frauen-Fußballteam der Roter Stern Kickers das FLINTA*-Team. Künftig wolle man auch jenen Menschen einen Platz im Sportbetrieb bieten, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen, so die Begründung. Es konnte zunächst nur ein Signal sein, denn zu diesem Zeitpunkt stand die Regelung des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) einer offiziellen Aufnahme von Menschen mit dem Personenstandseintrag „divers“ oder „ohne Angabe“ im Weg. Wie schnell sich die Dinge entwickeln würden, davon wagten selbst die Optimist:innen im Ahrensburger Verein und der bundesweiten FLINTA*-Szene kaum zu träumen.
FLINTA* ist ein abgekürzter Sammelbegriff. Die Buchstaben stehen für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen. Das Sternchen bindet zudem alle Menschen ein, die sich in keiner der aufgeführten Kategorien wiederfinden, aber keine Cis-Männer sind. Als Cis-Männer werden biologische Männer bezeichnet, die sich mit ihrem Geschlecht identifizieren.
„Unser Team möchte ein Schutzraum sein, in welchem sich FLINTA* willkommen fühlen und in dem wir uns so zeigen können, wie wir sind und fühlen“, schrieb der Verein im Juni in einer Mitteilung. „Außerdem ist es uns wichtig, ein sichtbares Zeichen der geschlechtlichen Vielfalt nach außen zu senden. Wir möchten gemeinsam dafür kämpfen, dass intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen sich nicht in eine Kategorie zwingen lassen müssen, die ihnen ein bestimmtes Geschlecht zuschreibt, sondern in einem Umfeld Sport treiben können, das ihre persönliche Geschlechtsidentität respektiert und anerkennt.“
Alltagsdiskriminierung und Vorurteile aus der Gesellschaft waren und sind das eine. Bezogen auf den geregelten Amateurfußball war es bis dato sogar ganz klar: Wer weder Mann noch Frau ist, darf nicht mitspielen. Eine Ausnahmeregelung gab es nur in Berlin.
Doch im Juli verkündete der DFB völlig überraschend eine revolutionäre Neuregelung. Ausgerechnet der DFB, sagten viele. Der Dachverband der Fußballer:innen, der als verstaubt gilt und oftmals eher die Millionäre aus dem Profibereich zu vertreten scheint als die breite Basis.
In einer DFB-Pressemitteilung hieß es, dass die Regelung im Kern vorsehe, „dass Spieler*innen mit dem Personenstandseintrag ,divers‘ oder ,ohne Angabe‘ und Spieler*innen, die ihr Geschlecht angleichen lassen, künftig selbst die Entscheidung treffen können, ob ihnen die Spielberechtigung für ein Frauen- oder Männerteam erteilt werden soll. Dies gilt auch für transgeschlechtliche Spieler*innen, die nun zu einem selbst bestimmten Zeitpunkt wechseln können oder zunächst in dem Team bleiben, in dem sie bisher gespielt haben.“
Auch der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, nun DFB-Botschafter für Vielfalt, äußerte sich: „Der Fußball steht für Vielfalt, und auch der DFB setzt sich dafür ein.“
Die 24-jährige Emma kickt seit diesem Jahr für die Ahrensburger:innen. „Aus meiner Sicht ist das eine richtig große Sache“, sagt sie über die Neuregelung des DFB. „Menschen, die sich nicht im binären Spektrum von Mann oder Frau identifizieren, haben bisher keinen Platz gefunden. Wir haben uns in den vergangenen Monaten viel damit beschäftigt, wie alle Menschen bei uns spielen können. Deshalb ist die Regelung eine große Erleichterung für uns.“
Emma hieß früher anders. Emma war früher ein Mann. Biologisch und laut Ausweis. Dass sie sich aber nicht so fühlte, habe sie schon sehr früh gemerkt, erzählt Emma, die ihren Nachnamen lieber nicht öffentlich machen möchte – aus Angst vor Anfeindungen beispielsweise aus der rechten Szene in Stormarn und Umgebung. Sie weiß, wovon sie redet. Aus der Familie, dem Bekanntenkreis und von der Universität, an der sie studiert, habe sie zwar viel Zuspruch und Unterstützung bekommen. Aber es gab auch Beleidigungen. Und sie kenne Menschen, die aus ähnlichen Gründen von ihren Familien verstoßen wurden, erzählt sie.
Mit 17 habe sie ihrem unguten Gefühl das erste Mal einen Namen geben können, sagt Emma. Vier Jahre später traf sie die große Entscheidung: Sie begann mit einer Hormontherapie, es wurde eine sechsstündige geschlechtsangleichende Operation durchgeführt und später eine Korrektur-OP. Im November 2020 bekam sie Post vom Amtsgericht: Personenstand geändert. Seitdem ist Emma, die früher anders hieß, eine Frau. Hochoffiziell.
Dabei müsse das binäre Denken, Mann oder Frau, grundlegend infrage gestellt werden, findet Emma. Das sieht auch ihre Teamkollegin Mary (26) so. „Ich werde als Frau gelesen und bin auch biologisch eine Frau von Geburt an“, sagt sie. Aber: „Man muss sich nicht unbedingt festlegen. Ich finde es wichtig, darüber nachzudenken, dass das binäre System falsch ist. Es gibt so viele Facetten und eigentlich so viele Geschlechter, wie es Menschen gibt. Die Identität sollte mehr im Fokus stehen als das Geschlecht.“
Es sind Überlegungen, die vielleicht für viele Menschen neu sind, die aber niemandem weh tun, die niemanden einschränken. Vor allem jene Menschen, die dem privilegiertesten Geschlecht überhaupt angehören, wollen das aber teilweise nicht akzeptieren. Das zeigt sich an Kommentaren auf dem Sportplatz, auf der Straße oder in manchen Kneipen. Und natürlich in den sozialen Medien. Kommentare über die Neuregelung des DFB seien überwiegend sehr abwertend gewesen, erzählt Mary. „Da schrieben Männer, dass sie sich jetzt auch ihr Geschlecht aussuchen, damit sie mit den Frauen duschen können. Viele Leute haben einfach keine Ahnung von den Realitäten, die existieren.“
Es gehe doch nur darum, dieselben Rechte wie Männer zu haben, fügt Emma hinzu. Darum, dass die Alltagsdiskriminierung aufhöre, die an so vielen Stellen und in so viele Momenten sichtbar werde. Das Ahrensburger FLINTA*-Team ist für Emma, Mary und viele andere ein Safe Space – eine Umgebung, in der sie sich ohne Angst bewegen können.
Die Roter Stern Kickers nehmen in Schleswig-Holstein übrigens eine Vorreiterrolle ein. Als erster Verein im Bundesland nehmen sie mit einem auch offiziell so bezeichneten FLINTA*-Team am Spielbetrieb teil. Die neue Saison beginnt in einigen Wochen. Im historischen Sommer 2022.
Das Community Magazin lebt von eurer Beteiligung. Wir freuen uns über jedes Feedback. Teilt unsere Inhalte mit euren Freunden!