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Ein Tischtennis-Spiel wurde zum Glück für Dmytro Asieiev. Von Ahrensburg aus bangt er um seine Eltern. Jetzt gibt es Hoffnung.
UPDATE: Dima hatte gestern (08.03.2022) die Nachricht erhalten, dass seine Familie nach Hamburg kommt.
Das Handy klingelt, eine ukrainische Nummer leuchtet auf. Es ist der 28. Februar, als ich zum ersten Mal direkten Kontakt zu Dmytro Asieiev habe. Wir telefonieren sieben Minuten, im Anschluss schickt er Videos und Fotos aus seiner Heimatstadt Charkiw. Bombeneinschläge, Raketen, zerstörte Gebäude.
„It's humanity catastrophe“ sind die ersten Worte, die er in den Chat schreibt – „es ist eine humanitäre Katastrophe“. Diesen Satz wird er in den kommenden Tagen immer wieder schreiben und aussprechen. Während seine Eltern und viele Freunde in der Ukraine um ihr Leben bangen, will Dmytro Asieiev wenigstens irgendetwas tun. Deshalb hat er sich dazu entschlossen, die schlimmste Zeit seines Lebens mit der Öffentlichkeit zu teilen.
Asieiev ist 25 Jahre alt und Tischtennis-Profi. Seit Jahren pendelt er an Wochenenden zwischen seiner Heimat und Stormarn. Er spielt für den SSC Hagen Ahrensburg und gibt Training für Jugendliche. Dort nennen ihn alle nur Dima. Er ist beliebt im Verein, bei den jungen Tischtennis-Spielern, bei seinen Teamkollegen und bei den Zuschauern.
„Dima ist sehr diszipliniert, immer pünktlich – und sich nicht zu schade, auch Anfänger zu trainieren“, sagt Erhard Mindermann, Funktionär beim SSC Hagen. Als vor einem Oberligaspiel der Flug gecancelt wurde, reiste Dima mit dem Bus an. Der Trip dauerte vier Tage.
Bis jetzt war der Sport für Dima „nur“ seine große Leidenschaft und sein Beruf. Dann wurde Tischtennis zu seiner Rettung. Nur weil er kurz vor dem Ausbruch des Krieges mal wieder zu einem Spiel der Ahrensburger Oberligamannschaft reiste, war er in Norddeutschland statt in der Charkiv, als Putin seinen Angriffskrieg startete. Gestrandet in Ahrensburg, wo ihm der Verein eine Wohnung stellt. Der andere ukrainische Tischtennis-Profi des SSC Hagen hatte dieses Glück nicht. Sein Flug wäre einen Tag später gegangen, zu spät. Oleksii Dehtiarov sitzt in der Hafenstadt Odessa fest. Meistens in einem Schutzbunker.
Wenige Tage nach Kriegsbeginn fährt Dima nach Gießen zu einem Freund. An Schlaf sei auch dort kaum zu denken, berichtet er. In den sozialen Netzwerken, auf Medienportalen und über seine Eltern und Freunde in der Ukraine informiert er sich laufend über jede neue Entwicklung. Einmal habe er drei Tage und Nächte am Stück kein Auge zugemacht, schreibt er.
Der Schlafmangel und die ständige Angst sind ihm anzumerken, als er am ersten Freitag im März in den Norden zurückkehrt und für ein persönliches Treffen bereit ist. Dima wirkt klug, redegewandt und freundlich. Konzentriert zu bleiben, kostet ihn aber ganz offensichtlich viel Kraft. Manchmal scheint der große, kräftige Mann ein wenig in sich zusammenzusacken. Oft reibt er beide Hände durch sein Gesicht.
Dima erzählt von seinen Eltern. Er stamme aus einem Akademiker-Haushalt, hat auch selbst studiert. „Wir verreisen gern zusammen“, sagt er. Das Familienfoto aus dem Dubai-Urlaub ist nur drei Monate alt und doch aus einer anderen Zeit.
Denn praktisch von einem Tag auf den anderen ist in Charkiw schon ein Schritt nach draußen lebensgefährlich. Die Stadt nahe der russischen Grenze ist täglich Angriffen ausgesetzt. Tagelang verharren Dimas Eltern im Schutzbunker. Als die Elektrizität ausfällt, wagt sich seine Mutter kurz in die Wohnung. „Auf der Straße hat sie tote Menschen gesehen“, erzählt Dima. „Immer, wenn wir telefonieren, weint sie.“
Manchmal vespüre er den Wunsch, seine Familie zu beschützen. Einfach loszufahren. Was seine Mutter von dieser Idee halte? „Sie hat gesagt, wenn ich jetzt nach Charkiw komme, wird sie mich erschießen.“ Jetzt lacht Dima.
Am Wochenende steht Dima an der Tischtennisplatte. Für einige Momente kann er sich wieder nur auf den Sport konzentrieren. In der Turnhalle einer Ahrensburger Schule bestreitet er sechs Spiele in zwei Tagen. Und gewinnt alle. Zwischen den Matches sitzt er auf einer Bank und blickt auf sein Handy.
Für Dimas Eltern fühlt es sich derweil immer gefährlicher an, in Charkiw zu bleiben. Zumal sein Vater an Diabetes leidet und das Insulin knapp wird. Am Montag, 7. März, beschließen sie, zu fliehen. Sie setzen sich ins Auto und fahren Richtung Südwesten. Ausgestattet nur mit ihren Dokumenten, ein paar Kleidern und ein wenig Geld. Nach acht, neun Stunden haben sie das 250 Kilometer entfernte Dnipro erreicht. „Das war das größte Risiko des Lebens“, schreibt Dima.
Am Telefon wirkt er das erste Mal ein kleines bisschen gelöst. Endlich gibt es Hoffnung. „Wo sie jetzt sind, ist es sicherer“, sagt er. „Sie bekommen Hilfe von Landsleuten. Die Leute in Dnipro haben ihnen eine Wohnung und Essen gegeben. Morgen wollen sei weiter Richtung Rumänien fahren.“
Nach der Nacht, in der Ausgangssperre herrscht, geht die Flucht wie geplant weiter. „Jetzt sind sie in Uman“, berichtet Dima am Vormittag des 8. März. „Sie wollen heute versuchen, an die Nähe der Grenze zu kommen.“ Das Zwischenziel heißt Czernowitz, wo bereits seit Tagen viele Flüchtlinge ankommen. Es gebe eine ganz kleine Chance, dass seine Eltern schon morgen die Grenze passieren können, schätzt Dima. Um dann, hoffentlich, nach Deutschland zu kommen.
Dmytro Asieiev wartet in Ahrensburg auf seine Eltern, kümmert sich mit Hilfe des SSC Hagen Ahrensburg schon wieder um die Zukunft. Er hofft, Wohnung und Arbeit für seine Eltern zu finden. Vielleicht sogar eine neue Heimat. Das Charkiw, wie es Familie Asieiev kannte, gibt es nicht mehr.
Dima hatte gestern (08.03.2022) die Nachricht erhalten, dass seine Familie nach Hamburg kommt.
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