Martin Wolke: Ahrensburg
In das bunte Treiben der Innenstadt von Ahrensburg mischt sich eine seltsame Figur: Eine überdimensionale Wellhornschnecke liegt dort auf dem Straßenpflaster. Sie ist ebenso blau gefärbt wie der Mann im Anzug, der barfuß auf ihr herumspaziert, als sei es das Normalste der Welt.
Der goldblond behaarte Knabe hat seine linke Hand in die Hosentasche gesteckt, während seine Rechte eine ähnliche Muschel in kleinerem Format hält, als wolle er sie ausschütten wie ein Füllhorn.
Die überlebensgroße Figur aus glasfaserverstärktem Kunststoff schuf Martin Wolke 2005 für das Rondeel im Fußgängerbereich des Geschäftszentrums. Das geschah nicht ohne Probleme, denn sein "Muschelläufer" - ein Geschenk des Rotary-Clubs an die Stadt - hatte von Anfang an Feinde, die das Werk schlicht "Blaumann" schimpften. Es gab Attacken mit Farbe und gar Sprengstoff, sodass das Objekt schon mehrfach vom Künstler repariert werden musste. Anträge aufgebrachter Bürger zu Abbau oder Umsetzung der bunten Figur wurden bislang nicht in die Tat umgesetzt, sodass der "Muschelläufer" schon als "Sinnbild für die Ohnmacht der Bürger gegenüber ihrer Verwaltung" bezeichnet wurde.
Auch Umzugspläne zum Bahnhof gibt es - doch bislang hält sich der "Muschelläufer" auf dem gepflasterten Rondeel - und siehe: Im Sommer ist er ein Hingucker für Flaneure und Cafébesucher, während im Winter die Betreiber des Weihnachtsmarktes die ausgestreckte Muschel geschickt als Füllhorn mit einem Weihnachtsbaum verbinden, als würden hier Baumschmuck ausgeschüttet und Wünsche wahr. In gewisser Weise ist das ungewohnte Kunstwerk auch zu einem Diskursobjekt über die Toleranzfähigkeit Andersdenkender geworden.
Der 1971 in München geborene Künstler studierte an der Kieler Muthesius-Kunsthochschule bei Jan Koblasa. Schon seit vielen Jahren hat er sich vom klassischen Bildhauermaterial verabschiedet und nutzt glasfaserverstärkten Kunststoff, der sonst etwa im Bootsbau Verwendung findet. Zu seinen bekanntesten Objekten zählen die grünen Figuren vor dem Bahnhof von Westerland auf Sylt.
Rondeel / Hamburger Straße
22926 Ahrensburg
Das Kunstwerk liegt an oder in der Nähe der Radrundrouten 12 und 15:
https://tourismus-stormarn.de/de/radrundtouren/geschichten-von-schloss-und-hof-3
https://tourismus-stormarn.de/de/radrundtouren/durch-alleenfaecher-ins-tunneltal-4
Martin Wolke, "Muschelläufer", Glasfaser-Kunststoff, 2005. Ahrensburg, Rondeel / Hamburger Straße.
Quelle: www.martinwolke.de, 22.10.2016. Jens Rönnau, Open Air Galerie Kiel - Kunst und Denkmäler, Neumünster 2011, S. 457. Alexander Sulanke, Ganz Ahrensburg spricht über den "Muschelläufer", in Hamburger Abendblatt, 15.8.2005. Jens Rönnau, Der "Muschlläufer" hat nicht nur Freunde, in Kieler Nachrichten, 2.1.2015. www.szene-ahrensburg.de/tag/muschellaeufer/ , 22-10-2016. Akten der Stadt Ahrensburg.
Text/Fotos Jens Rönnau