Rainer Gualterio Anz: Glinde
Vier Menschen stehen auf einer abschüssigen Fläche als Gruppe eng zusammen, halten einander fest, als würden sie gespannt einer aufwühlenden Begebenheit entgegensehen - einem waghalsigen Kunststück vielleicht, oder einem Unglück. Die geschwungene Platte, auf der sie sich mühsam zu halten scheinen, steht ihrerseits schräg auf einem Sockel, als könne sie gleich abrutschen oder wie eine Wippe hin- und hergehen. Vielleicht ist es auch ein Boot in schäumender See.
Letzteres hatte der Stormarner Bildhauer Rainer Gualterio Anz als Schöpfer dieser Figurengruppe wohl am ehesten im Sinn, denn er hatte 1993 den Auftrag, ein Kunstwerk für das neue Rathaus von Glinde zu entwerfen. Dem Familienvater, der fünf Kinder hatte, muss so etwas wie ein Familienzusammenhalt vorgeschwebt haben, als er eine Idee für die Darstellung einer Gemeinde suchte. Dort, vor dem Ort der Politik und der Verwaltung der Stadt, nur unweit von der Polizeistation entfernt, galt es ein Sinnbild für das Zusammenwirken der gesellschaftlichen Kräfte, Interessen und Entwicklungen zu finden - auch für die Kunst des Balance-Haltens dazwischen. Er wählte das Sinnbild des "alle in einem Boot", das heute mehr denn je zugleich ein weltumspannendes Thema ist. Anz, der die Skulptur aus schwedischem Bohus-Granit in der Keller-Werkstatt seines Hauses ausgearbeitet hatte, bestimmte den Standort dafür gemeinsam mit dem früheren Glinder Bürgermeister Hans-Peter Busch - ein freundschaftlicher Balance-Akt zwischen Verwaltung und Kunst, die der Künstler ehrte, indem er den Politiker mit der Figur des bärtigen und augenzwinkernden Mannes auf der Wippe portraitierte.
1938 im argentinischen Córdoba geboren, erlernte er schon im Kinderhalter künstlerische Fähigkeiten durch seine Eltern: Der Vater, Harald Anz, war Bildhauer, die Mutter, Leonor Offermann, Malerin. In Betrieben und Schulen in Argentinien und Deutschland ließ er sich zunächst zum Industriekeramiker ausbilden, darunter 1960/61 auch an der berühmten Keramik-Fachschule in Höhr-Grenzhausen. Sechs Wochen war er Gastschüler bei Joseph Beuys, war aber auch viele Jahre als Designer, Gold- und Silberschmied tätig, darüber hinaus war er als Zauberer und Bauchredner Varieté-Künstler. Seit 1975 arbeitete er als freier Bildhauer und bezog mit seiner Familie 1978 das alte Schulleiterhaus von Aumühle, wo er sein Atelier hatte und zahlreiche Ausstellungen organisierte. Bevorzugte Materialien waren Holz, Bronze und Stein. Rainer Gualterio Anz hatte Ausstellungen in Deutschland, Argentinien, England und den Niederlanden. Er starb im August 2016 in Argentinien.
Markt 1
21509 Glinde
Das Kunstwerk liegt an oder in der Nähe der Radrundroute 21: https://tourismus-stormarn.de/de/radrundtouren/an-beken-und-auen-bis-in-den-sachsenwald-6
Bohus-Granit. Glinde, Rathaus, Markt 1. www.uwe-schloen.de. www.anz-bildhauer.de
Quelle: Akte der Stadt Glinde. http://anz-bildhauer.de/lebenslauf.html, 4.10.2016. Telefonat Jens Rönnau mit Philipp Anz am 5.10.2016. Hans-Peter Busch in Stadtmarketing Glinde, Sehenswürdigkeiten, http://www.stadtmarketing-glinde.de/k-swk-bw.htm, 15-10-2016.
(c) Text/Fotos Jens Rönnau